1. Der Pflichtteilsberechtigte, der Sozialleistungen bezieht, hat mit dem Beklagten als Alleinerbin wirksam auf seinen Pflichtteil nach dem Erblasser verzichtet. Bei dieser nach dem Erbfall geschlossenen Vereinbarung handelt es sich nicht um einen Pflichtteilsverzichtsvertrag nach § 2346 Abs. 2 BGB, sondern um einen Erlassvertrag gemäß § 397 BGB.
2. Dieser nach dem Erbfall vereinbarte Pflichtteilsverzicht verstößt nicht gegen die guten Sitten.
3. Behinderte kommen mit dem Pflichtteilsverzicht typischerweise einer Erwartungshaltung der Eltern nach, die sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben und sicherstellen wollen, dass die Nachkommen nicht bereits beim Tode des Erstversterbenden Nachlasswerte für sich beanspruchen. Verzichtet ein nicht behinderter Abkömmling ohne Sozialleistungsbezug in dieser Situation auf seinen Pflichtteil, ist dies sittlich anzuerkennen. Andernfalls sieht er sich dem Vorwurf des Undanks und der Illoyalität gegenüber der Familie ausgesetzt. Demselben Vorwurf würde sich ein Behinderter aussetzen, wenn er aus Rücksicht auf die gegenläufigen Interessen des Sozialhilfeträgers nicht auf den Pflichtteilsanspruch verzichten würde.
– OLG Hamm, Urt. v. 09.11.2021 – 10 U 19/21, BeckRS 2021, 41312 –